Geschichte

Inschrift über dem Hauptportal: "Natura gignit dociles; Industria parit doetos; Virtus perficit beatos"

Von den Anfängen im Spätmittelalter bis zur napoleonischen Herrschaft

Unser Gymnasium gehört zu den ältesten Schulen des Landes Rheinland-Pfalz. Das Bezugsdatum für die Jubiläen des Gymnasiums am Kaiserdom ist die Gründung der lateinischen Ratsschule der Stadt Speyer im Jahre 1540. Versteht man darüber hinaus die Domschule und die Stiftsschulen ebenso als Vorläuferinstitutionen, reicht die Vorgeschichte sogar bis ins frühe Mittelalter zurück.
Im Zuge ihrer wachsenden wirtschaftlichen Macht und politischen Unabhängigkeit strebten die Städte im Spätmittelalter (14./15. Jahrhundert) auch nach Eigenständigkeit im Bildungswesen, indem sie die Unterhaltung von Schulen übernahmen, schließlich die Aufsicht über bestimmte Schulen an sich zogen oder neue bürgerliche Schulen gründeten. In Speyer gab die Reformation den entscheidenden Impuls zur Gründung einer selbständigen bürgerlichen Schule, wie es Martin Luther gefordert hatte. Diese Ratsschule war als Trivialschule konzipiert, in der in vier Klassen die Fächer Grammatik, Rhetorik und Dialektik, am Rande auch Religion und Musik gelehrt wurden. Sie war im Dominikanerkloster untergebracht und musste sich mit einem Unterrichtsraum für alle Klassen und Lehrer begnügen. Existenzbedrohungen in den ersten Jahren ihres Bestehens überstand die Ratsschule, Bedrohungen, die sich aus der politischen Auseinandersetzung um die Konfessionen ergaben. In der Folgezeit des Augsburger Religionsfriedens von 1555 beruhigten sich die Auseinandersetzungen um den Bestand der Schule. Eine Stärkung erfuhr der Schulstandort insofern, als ab 1594 die Schulaufsicht direkt von den beiden Bürgermeistern und zwei Ratsherren wahrgenommen wurden.

Neben der Ratsschule blieb das katholische Schulwesen der Stadt trotz der Glaubenskämpfe weiter bestehen. Im Zuge der Gegenreformation und der in katholischen Kreisen spürbar gewordenen Bildungsüberlegenheit der Protestanten, ergriff die katholische Kirche Maßnahmen, um die altehrwürdige Domschule vor dem Untergang zu retten. Latein, Griechisch und Theologie bildeten den Schwerpunkt des Unterrichts, vor allem nachdem Jesuiten den Unterricht in der Domschule übernahmen. Die Jesuiten waren in Speyer allerdings alles andere als willkommen. Der Rat der Stadt betrieb intensiv ihre Vertreibung, die nur das Eingreifen des Kaisers Maximilian II. verhindern konnte. Im Zuge der Revolutionskriege und der Auflösung des Fürstbistums Speyer (zwischen 1797 und 1803) ist das Ende der Domschule für 1794 anzunehmen. Die traditionsreiche Domschule gehört als lateinische Schule unabdingbar zu den geschichtlichen Grundlagen des Gymnasiums am Kaiserdom, das seit dem 19. Jahrhundert das Gymnasium beider Konfessionen war und besondere Bedeutung für die Ausbildung des Priesternachwuchses der Diözese Speyer hatte.
Vom institutionellen Rahmen her besteht allerdings eine engere Verbindung des heutigen Gymnasiums zur Ratsschule der Stadt. Diese Schule wurde im Jahre 1612 in ein Gymnasium umgewandelt. Als neue Fächer kamen Hebräisch, Arithmetik und Physik hinzu.

Die Zerstörung Speyers 1689 während des pfälzischen Erbfolgekrieges brachte auch das Ende des Gymnasiums. Doch infolge der regen Bemühungen des Rats um die Schulbildung kam es schon 1703 zur Neugründung der lateinischen Schule mit 12 Schülern und drei Lehrern in einem neuerbauten Flügel der ehemaligen kaiserlichen Kammer. Im Jahre 1713 wurde aus der Lateinschule wieder ein Gymnasium. Zu den üblichen Unterrichtsfächern kamen in dieser Zeit im Zuge aufklärerischer und neuhumanistischer Gedanken verstärkt Philosophie und Rhetorik, die Realienfächer Geschichte und Erdkunde sowie Deutsch und Mathematik hinzu. Die Stadt Speyer nahm die Aufsicht über die Schule sehr ernst. So wurde bspw. Fehlverhalten von Lehrkräften durch den Rat streng geahndet und Rektor sowie Konrektor waren angewiesen, ständig den Unterricht der Kollegen zu besuchen. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass ein regelrechtes Überwachungssystem aufgebaut wurde, mit dem Ziel, „die vielen auf die Schulbedienten aufgewandten Gehälter, die der Stadtkasse schwer genug fielen“ vor der Öffentlichkeit rechtfertigen zu können.
Dieses Überwachungssystem galt aber auch für die Schüler. Da das evangelische Ratsgymnasium inmitten eines katholischen Umlandes lag, betrug die Schülerzahl nie mehr als einhundert, meist sogar nur rund sechzig. Dementsprechend waren die Klassen klein und die Überwachung des Einzelnen in der Schule gut durchzuführen. So bestand für die Heranwachsenden in der damaligen Zeit (17./18. Jh.) kaum eine erlaubte Möglichkeit zu sportlicher oder spielerischer Betätigung. Nach landläufiger Auffassung hatten die Schüler den ganzen Tag über den Büchern zu sitzen, allenfalls einen Spaziergang am Abend gestand man ihnen zu. Von heutigen Maßstäben aus urteilend kann man deshalb nur hoffen, dass sich die Schüler damals nicht an die Bestimmungen gehalten haben. Andererseits warteten harte Strafen auf gefasste Übeltäter, wobei die Prügelstrafe im Vordergrund stand.

Das Ratsgymnasium zu Speyer befand sich Ende des 18. Jahrhunderts in einer Phase des Aufschwungs, ehe die Revolutionskriege seit 1792 einen Rückgang der Schülerzahlen und den Niedergang des Gymnasiums brachten, bevor die Franzosen als neue Herren der linksrheinischen Gebiete das Gymnasium 1804 in eine École secondaire umwandelten. In sechs Klassen wurden hier zunächst 47 Schüler unterrichtet, Französisch stand an der Spitze der Fächer. Die Schule wurde zu einer Schule für alle Konfessionen, zumal die Domschule nicht mehr existierte. 1811 nannte sich die Schule College, 1816/17 wieder Gymnasium, noch ehe mit der Übernahme der Pfalz durch Bayern eine Neuregelung der Schulverhältnisse in der Pfalz erfolgte.

Das Gymnasium in der bayerischen Zeit

Bayrisches Wappen an der Schulfassade

Eine umfangreiche Neustrukturierung erweiterte den alten Gymnasialcharakter, da ab 1817 neben den klassischen Gymnasialklassen eine lateinische Vorbereitungsklasse mit Progymnasium und ein Lyzealklasse zur Universitätsvorbereitung existierten.
Diese Schulorganisation erfuhr im Laufe des 19. Jahrhunderts mehrere Veränderungen:
1825 wurde das Progymnasium zum Gymnasium hinzugerechnet. Aus der Lyzealklasse entwickelte sich das Lyzeum, das 1839 eingerichtet wurde. Seit 1891/92 wurden die bisherigen Klassen der Lateinschule und des Gymnasiums als 1. bis 9. Gymnasialklasse durchgezählt, zugleich erhielt die Schule nach mehrfachem Namenswechsel im 19. Jahrhundert jetzt die Bezeichnung „Kgl. Humanistisches Gymnasium“.
Das 20. Jahrhundert begann mit einem wichtigen Einschnitt in der Geschichte des humanistischen Gymnasiums in Speyer, dem Umzug in das neue Gymnasialgebäude, der am 16. September 1902 erfolgte. Das neue Gebäude war unter Heranziehung von Plänen des Fürstenschlosses zu Brieg in Schlesien auf dem Gelände einer ehemaligen Kavalleriekaserne zwischen Großer Pfaffengasse und Steingasse seit 1901 erbaut worden. Es wird berichtet, dass um die Jahrhundertwende ein besonders gutes Klima an der Schule herrschte, dass fähige Lehrer unterrichteten, die jetzt auch gut besoldet waren. Doch bald schon beendete der Erste Weltkrieg diese Idylle. Das Gymnasium wurde schon 1914 als Reservelazarett genutzt, die Schule in das sogenannte alte Schulhaus hinter dem Versicherungsgebäude ausquartiert. Der Krieg forderte seine Opfer, nicht nur unter den Lehrern, sondern auch unter den Schülern. Eine Phase der Konsolidierung auch des Schullebens am Speyerer Gymnasium erfolgte im Rahmen der demokratischen Freiheiten der Weimarer Republik.

Nationalsozialismus

Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Diktatur waren schnell im traditionsreichen Speyerer Gymnasium spürbar. Schon 1934 wurden Abiturienten einer Gesinnungsprüfung unterworfen. Die Schulleitung war angehalten, Schülerauslesekriterien auch konsequent anzuwenden. Schulleiter Burghofer (1931-35) wurde 1935 wegen einer „Schaukastenaffäre“ in „Schutzhaft“ genommen, zwangsversetzt und durch die Parteigenossen Strobl (1935-39) und Leiling (1939-45) ersetzt. Schließlich brachte das Jahr 1937 die Auflösung des Gymnasiums, das in eine Oberschule umgewandelt wurde; die Gymnasialklassen liefen 1943 aus, als die Schüler der 6. Klasse als Luftwaffenhelfer einrückten. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass ausgerechnet 1940, zum 400-jährigen Jubiläum der Gründung der lateinischen Ratsschule, die Umbenennung der Anstalt in „Oberschule für Jungen (Gymnasium im Abbau)“ erfolgte. Dass an ein Jubiläum nicht gedacht werden konnte, versteht sich aus den Zeitumständen, zumal Geschichtslosigkeit immer auf Kulturlosigkeit und Barbarei deutet.

1945 bis heute

Bald nach dem Zusammenbruch 1945 konnte der Unterricht wieder aufgenommen werden, diesmal wieder in einem Gymnasium. Das Schulgebäude war nicht zerstört worden; es wurde zunächst von den Franzosen als Lager für Kriegsgefangene und Deportierte benutzt, aber am 11. September 1945 für den Unterricht freigegeben.
Das Jahr 1950 brachte einige wesentliche Veränderungen für die Schule. Das Gymnasium mit Realabteilung wurde zum „Staatlichen Gymnasium“ mit einer altsprachlichen und einer naturwissenschaftlichen Abteilung. Hatten bisher nur die altsprachlichen Schulen die Bezeichnung „Gymnasium“ getragen, so galt der Begriff ab 1950 für alle höheren Schulen in Rheinland-Pfalz, also auch für Realgymnasien (jetzt „neusprachliches Gymnasium“ und Oberrealschulen jetzt „naturwissenschaftliches Gymnasium“).
Die gesellschaftspolitische Aufbruchsstimmung der jungen Generation in den 1960er Jahren war auch im Speyerer Gymnasium spürbar. Teils restriktiv, teils dialogbereit zeigte sich Lehrerschaft und Schulleitung dem Ansinnen der sog. 68er-Generation gegenüber. 1965 beschloss Oberstudienrat Baumann seine Rede anlässlich der Abiturientenabschlussfeier mit den Worten: „Bleiben Sie kritisch! Sie sind Menschen des Zeitalters der Aufklärung, das noch nicht zu Ende ist.“ Es schien, als hätte eine ganze Generation von Schülern und Studenten diese Worte gehört, eine Generation, die mit dem Attribut „kritisch“ in die Geschichte eingegangen ist.
Tiefgreifende Veränderungen trafen in den späten 1960er Jahren das Bildungswesen der BRD und damit auch das altsprachliche Gymnasium. Im Zuge der verschärften Diskussion um das Bildungswesen geriet vor allem auch das (konservative) humanistische Gymnasium ins Schussfeld der Kritik. Dies zeigt sich deutlich an der Entwicklung der Schülerzahlen am altsprachlichen Gymnasium Speyer. 1958/59 besuchten noch 753 Schüler die Schule. Ab Mitte/Ende der 1960er Jahre sank die Schülerzahl im Zuge der Veränderung der Stimmungslage, bis im Schuljahr 1971/72 ein Tiefstand von 421 Schülern erreicht war. Während an den anderen Gymnasien in Speyer die Schülerzahlen stiegen, ging am Altsprachlichen die Zahl der Neuanmeldungen zurück.
Einen nachhaltigen Einschnitt in der Schulgeschichte zeigte das Jahr 1973/74, als am Gymnasium am Kaiserdom zum ersten Mal an einem altsprachlichen Gymnasium die Mainzer Studienstufe eingeführt wurde. Die MSS brachte eine gänzliche Umgestaltung der gymnasialen Oberstufe, und man kann wohl sagen, dass das Gymnasium dadurch ein neues Gesicht erhielt. Dies gilt besonders für das humanistische Gymnasium, denn mit der von den Schülern häufig benutzten Möglichkeit, Latein und Griechisch in der MSS „abzuwählen“, fallen die einstigen Eckpfeiler der humanistischen Bildung für die überwiegende Mehrheit der Schüler weg. Von den damaligen Schülern wurde die MSS sehr begrüßt: bisher ungeahnte Möglichkeiten, den eigenen Neigungen und Abneigungen in der Fächerwahl zu folgen, wurden wohl zu Recht als Befreiung von unliebsamen Zwängen empfunden.
Letzte größere bauliche Veränderungen fanden 1970/71 mit dem Anbau in der nördlichen Längsfront und dem Neubau der unterirdischen Sporthalle im Jahre 1989 statt. Umfassende Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen begleiteten den Schulalltag in den letzten 20 Jahren.

(leicht veränderte Fassung des Beitrags: Walter Helfrich; 450 Jahre lateinisches Gymnasium in Speyer, in: Ratsschule der Stadt Speyer 1540 – 1990. Gymnasium am Kaiserdom. Festschrift zum 450-jährigen Jubiläum, Speyer 1990, 22-51.)